Was bedeutet das Wort Epilepsie
Das Wort Epilepsie ist vom Griechischen abgeleitet und bedeutet „plötzlich heftig ergriffen und überwältigt" zu werden. Im antiken Griechenland stellte man sich vor, dass die Epilepsie dem Menschen durch Götter oder Dämonen auferlegt würde, man sprach deshalb von einer heiligen Krankheit. Epilepsie umgibt auch heute noch das Fluidum des Unerklärlichen und Unheimlichen, viele Ängste und Vorurteile ranken sich um diese Krankheit. Dabei ist Epilepsie eigentlich eine Organkrankheit wie jede andere Krankheit des Körpers auch. Viele Menschen haben eine Epilepsie,bei denen durch die Medikamente keine oder nur wenige Anfälle auftreten, im übrigen sind sie gesund und leistungsfähig. Durch Aufklärung über die Eigenschaften und die vielfältigen Erscheinungsformen der Epilepsie wird ein offener Umgang mit dieser Krankheit möglich.
BNS-Epilepsie (West-Syndrom)
Die BNS-Epilepsie beginnt fast immer im ersten Lebensjahr, ganz überwiegend zwischendem 2. und 10. Lebensmonat. Bei der großen Mehrzahl der Kinder zeigt sich dann ein Entwicklungsstillstand, oder die Kinder verlernen sogar wieder Fähigkeiten,die sie vorher schon beherrschten. Zeigt sich im EEG ein bestimmtes Muster, die sog. Hypsarrhythmie (s.u.), so wird die Diagnose einer BNS-Epilepsie (eines West-Syndroms) gestellt. Dieses Syndrom ist nach dem Arzt Dr. West benannt worden, der diese Epilepsieform 1841 zum ersten Mal bei seinem eigenen Sohn ausführlich beschrieben hat. Die Begriffe BNS-Anfälle und West-Syndrom bedeuten nicht immer dasselbe, denn BNS-Anfälle meinen eine Anfallsform und West-Syndrom eine Epilepsieform. Neue Bezeichnungen für die BNS-Anfälle sind epileptische Spasmen oder infantile Spasmen. BNS-Anfälle als Anfallsform können bei kleinen Kindern auch bei anderen Epilepsien als beim West-Syndrom vorkommen, z.B. beis symptomatischen fokalen Epilepsien. Tabelle 6 zeigt die Kurzcharakteristik der BNS-Epilepsie.
Die Mehrzahl der Kinder mit BNS-Anfällen ist zerebral vorgeschädigt, wobei als Ursachen alle Schädigungen in Betracht kommen, die das kindliche Gehirn während der Schwangerschaft, unter der Geburt und in der frühen Säuglingszeit treffen können: z.B. Gehirnfehlbildungen, Fehlbildungssyndrome mit Entwicklungsstörungen des Gehirns, Veränderungen der Chromosomen, angeborene Stoffwechselstörungen, Sauerstoffmangel, Infektionen des Gehirns. Bei diesen Kindern mit sog. symptomatischen BNS-Anfällen sind die zerebralen Anfälle nur ein Zeichen einer ausgedehnten Hirnschädigung, denn die Kinder haben in der Regel weitere neurologische Ausfälle, z.B. einen schweren allgemeinen Entwicklungsrückstand, Bewegungsstörungen, Wahrnehmungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Bei einer kleineren Gruppe von Kindern lässt sich allerdings keine Ursache nachweisen. Diese Kinder verhalten sich bis zum Auftreten der BNS-Anfälle normal. In diesen Fällen nimmt man aber doch eine verborgene Ursache an und spricht von sog. kryptogenen BNS-Anfällen. Sehr selten treten BNS-Anfälle allein auf erblicher Basis auf (z.B. bei Geschwistern), die dann als idiopathische BNS-Anfälle bezeichnet werden.
Ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Diagnose des West-Syndroms ist die EEG-Untersuchung, die am besten beim schlafenden Kind durchgeführt wird. Ein wichtiges EEG-Merkmal des West-Syndroms ist die sog. Hypsarrhythmie. Darunter versteht man ein EEG-Muster mit fortlaufend auftretenden sehr langsamen, unregelmäßigen Wellen, in die mit wechselnder Lokalisation und Häufigkeit epileptische Potentiale eingelagert sind. Die Hypsarrhythmie ist in der Regel ununterbrochen nachweisbar, d.h. auch in den anfallsfreien Zeiten und sowohl im Wach- als auch im Schlafzustand.
Bei Auftreten der BNS-Anfälle sind je nach der Vorgeschichte und den in Frage kommenden Ursachen einige Laboruntersuchungen notwendig, z.B. zur Suche nach angeborenen Stoffwechselkrankheiten oder nach angeborenen Infektionen wie z.B. Cytomegalie-Virus-Infektionen. Als modernes bildgebendes Verfahren wird zur Untersuchung des Gehirns die Kernspintomographie eingesetzt.
BNS-Epilepsie (West-Syndrom)
Die Abkürzung BNS steht für Blitz-, Nick- und Salaamkrampf
Beginn fast immer im 1. Lebensjahr
Entwicklungsstillstand oder Verlernen schon erworbener Fähigkeiten
Etwa 70-75% der Kinder sind zerebral vorgeschädigt (symptomatische BNS-Anfälle), 25-30% zeigen eine normale Entwicklung bis zum Auftreten (kryptogene BNS-Anfälle), in seltenen Fällen sind sie vererbt (idiopathische BNS-Anfälle)
EEG: charakteristisches Muster (Hypsarrhythmie)
Schwierige Behandlung:
Ein Teil der Kinder wird durch die Kombination von Vitamin B6 und Ospolt anfallsfrei (am besten verträglich)
Etwa 65% der Kinder wird anfallsfrei durch Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) und Nebennierenrindenhormone (in Abhängigkeit von der Dosis sind starke Nebenwirkungen wie Infektionen, Bluthochdruck, krankhafte Veränderungen der Herzmuskulatur möglich, bei höherer Dosierung versterben etwa 1% der Kinder durch diese Behandlung)
Etwa die Hälfte der Kinder wird durch Sabril anfallsfrei (hohe Gefahr der Gesichtsfeldeinschränkungen, jedoch keine Todesfälle)
Etwa 40% werden durch Valproat anfallsfrei (Gefahr des Leberversagens)
Prognose ist abhängig von der Ursache der Hirnschädigung: normale geistige Entwicklung bei etwa der Hälfte der Kinder mit kryptogenen BNS-Krämpfen, bei nur maximal 10% der Kinder mit symptomatischen BNS-Krämpfen
Etwa 50% der Kinder bekommen später andere Epilepsien (z.B. das Lennox-Gastaut-Syndrom oder Epilepsien mit komplex fokalen Anfällen)
BNS-Anfälle sind schwierig zu behandeln, denn nur ein Teil der Kinder wird durch die bisher zur Verfügung stehenden Medikamente anfallsfrei. Über viele Jahre wurden Hormone (Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) und Nebennierenrindenhormone) als wirksamste Substanzen eingesetzt. Leider ist die ACTH-Behandlung (allerdings in Abhängigkeit von der Dosis) mit ganz erheblichen Nebenwirkungen behaftet (z.B.verminderte Abwehr von Infektionen, Bluthochdruck, krankhafte Veränderungen der Herzmuskulatur), bei Anwendung höherer Dosen über längereZeit versterben etwa 1% der behandelten Kinder durch Komplikationen dieser Behandlung. In den letzten Jahren werden deshalb zunehmend andere Medikamente mit weniger Nebenwirkungen eingesetzt, dazu gehört vor allem die besonders gut verträgliche Kombination von Vitamin B6 mit Ospolot. Keine tödlichen Nebenwirkungen zeigt Vigabatrin, das fast so gut wie ACTH hilft. Allerdings besteht die Gefahr, dass ein entsprechend großer Teil der Kinder Einschränkungen des äußeren Gesichtsfeldes bekommt, wie sie bei etwa einem Drittel der behandelten Erwachsenen nachgewiesen wurden. Vigabatrin ist besonders gut bei den Kindern mit BNS-Krämpfen wirksam (bei über 90%), bei denen diese durch die angeborene Krankheit der tuberösen Hirnsklerose hervorgerufen wurden.
Die Zukunftsaussichten der Kinder mit BNS-Anfällen sind abhängig von der Ursache der Hirnschädigung. Mehr als die Hälfte der Kinder mit den sog. kryptogenen BNS-Anfällen zeigen später eine normale oder annähernd normale Entwicklung, während von den Kindern mit den symptomatischen BNS-Anfällen kaum ein Kind eine normale Entwicklung vor sich hat. Auch bei anhaltender Anfallsfreiheit setzen die meisten Epileptologen die Medikamente frühestens nach 2-3 Jahren ab. Ein Teil der Kinder mit symptomatischen BNS-Anfällen hat zwar nach einiger Zeit keine BNS-Anfälle mehr, dafür treten aber andere Epilepsieformen an die Stelle der BNS-Epilepsie, z.B.das Lennox-Gastaut-Syndrom oder Epilepsien mitgeneralisierten Anfällen oder mitkomplexen fokalen Anfällen.
Tonisch-klonische Anfälle
Die häufigsten generalisierten Anfälle sind die generalisierten tonisch-klonischen Anfälle, oft noch als Grand-Mal-Anfälle bezeichnet, sie laufen häufig folgendermaßen ab:
Manche Patienten erleben ein vages, schlecht beschreibbares Vorgefühl, aber die Mehrzahl verliert das Bewusstsein ohne Vorboten. Beginn mit einem plötzlichen Bewusstseinsverlust, verbunden mit einem gepressten Schrei. Bei aufrechter Körperhaltung kommt es zu einem Sturz, wobei sich der Patient verletzen kann.
Im tonischen Stadium zeigt sich eine Versteifung sämtlicher Gliedmaßen, der Gesichts-, Hals- und Rumpfmuskulatur, die etwa 10 bis 30 Sekunden lang anhält.
Im darauffolgenden klonischen Stadium treten generalisierte symmetrische Zuckungen auf, die besonders an Kopf, Armen und Beinen sichtbar sind und etwa 40-60 Sekunden andauern.
Zu Beginndes Anfalls zeigt sich ein Atemstillstand, später eine verlangsamte und erschwerte Atmung. Es wird schaumiger Speichel abgesondert, der im Falle eines Zungenbisses blutig verfärbt ist. Die Gesichtsfarbe ist anfangs blass, später leicht bis stark bläulich verfärbt.
Die tiefe Bewusstlosigkeit während des Anfalls geht gleitend in einen tiefen Nachschlaf über, der bei einigen Patienten nur sehr kurz anhält, bei anderen aber einige Stunden andauern kann. Patienten, bei denen der Nachschlaf nur sehr kurz ist oder ganz fehlt, zeigen statt dessen häufig einen Verwirrtheitszustand mit einer Bewegungsunruhe, Verkennen von Ort und Personen sowie dem Drang, ziellos davon zu laufen.
Generalisierte tonisch-klonische Krämpfe können in jedem Lebensalter vorkommen; sie treten bei sehr kleinen Kindern allerdings seltener auf. Sie können ein isoliertes Phänomen primärer oder sekundär generalisierter Epilepsien sein oder in Verbindung mit vielen anderen Anfallsformen kombiniert auftreten. Die Anfallshäufigkeit kann stark zwischen täglichen Anfällen und gelegentlichen Anfällen mit Intervallen von Monaten bis Jahren variieren.
Myoklonische Anfälle
Das gemeinsame Merkmal dieser Anfälle sind mehr oder weniger stark ausgeprägte Muskelzuckungen (Myoklonien). Es kommt zu Zuckungen des Kopfes und der Arme, weniger der Beine durch plötzliche, kurze, blitzartige Muskelkontraktionen. Die Myoklonien können sehr heftig ablaufen. Der Anfall äußert sich dann in plötzlichen, heftigen, ungerichteten ausfahrenden Bewegungen der Schultern und Arme, zum Teil auch mit Einknicken der Beine. Es kann bei einem einzigen myoklonischen Anfall bleiben, es können aber auch salvenförmig mehrere einschießenden Zuckungen auftreten. In der Hand gehaltene Gegenstände können dabei fortgeschleudert werden. Wegen der Kürze des Anfalls ist das Bewusstsein im Anfall nicht beeinträchtigt. Es besteht eine Neigung zur Anfallshäufung in der Zeit nach dem Aufwachen. Schlafentzug und vorzeitiges Wecken fördert das Auftreten dieser Anfälle.